Wer Volkslieder so souverän weiter entwickelt, setzt Maßstäbe

… Wer Volkslieder so souverän weiter entwickelt, setzt Maßstäbe… (RONDO)

Dance On Deep Waters – RONDO

Die meisten deutschen Jazzmusiker scheuen vor Volksliedbearbeitungen zurück. Glücklicherweise hat Edgar Knecht diese Hemmungen nicht. Er nimmt sich die Freiheit, mit den Melodien so selbstverständlich umzugehen, wie dies amerikanische Jazzmusiker einst mit den Schlagern vom Broadway vormachten. Dabei orientiert sich sein Quartett eher an den luftigen, schwebenden Bearbeitungen der 1990er Jahre als an den kraftvoll swingenden und bopenden der 1950er. Sehr feinfühlig greifen sein oft nur Klangpunkte hauchendes Klavierspiel, Rolf Deneckes in sich ruhende Kontrabassmelodien sowie das Schlagzeug und die Percussion von Tobias Schulte und Stefan Emig ineinander. Dies verleiht „Es freit ein wilder Wassermann“ – bei Knecht kurz „Lilofee“ genannt – oder der Ballade „Es waren zwei Königskinder“ – auf der CD als „Tiefe Wasser“ – eine ungewohnte Leichtigkeit. Knechts Bearbeitungen entfernen sich dabei so weit von den Volkslied-Originalen, dass die Umbenennung gerechtfertigt ist. Nur wer die Volkslieder mal gesungen hat oder sich sonst intensiv mit ihnen beschäftigt hat, wird die Melodien auf Anhieb erkennen; meist sind sie hinter einer längeren Einleitung versteckt. Aber genau dies macht die Klasse aus: Knecht und Kollegen hangeln sich nicht an einem Vorbild entlang, sondern entwickeln die Vorlagen eigenständig weiter. Dass sich dabei auch Stücke wie „Ich hab‘ die Nacht geträumet“ oder das Wiegenlied „Guten Abend, gute Nacht“ befinden, erhöht den Reiz, denn beide wurden von Johannes Brahms komponiert und gingen in den Schatz der Volkslieder ein. „Die Blümelein sie schlafen“, bei Knecht „Fenjas Lullaby“ genannt und seiner Tochter gewidmet, swingt so vergnügt, dass es verwundert, wenn er das Stück im Booklet als liebstes Schlaflied seiner Tochter ausgibt. Seine Version von „Die Gedanken sind frei“ hat wenig mit dem Protestsong aus der 1848er Revolution gemeinsam. Als „Gedankenfreiheit“ schweben die Töne locker in die Höhe, bevor sie sich zu einer fröhlichen Latinnummer verdichten. Wer Volkslieder so souverän weiter entwickelt, setzt Maßstäbe.

Werner Stiefele (RONDO)